Was ist ein Wachkoma?
In seiner ursprünglichen Bedeutung wird unter einem "Apallischen Syndrom" ein Erlöschen des Selbstbewußtseins und der Kontaktfähigkeit als Folge einer schweren Schädel-Hirnverletzung oder eines Sauerstoffmangels verstanden. Meist wird von einem Wachkoma gesprochen. Der Patient liegt mit offenen Augen da und weist auch einen Wach-Schlaf- Rhythmus auf, ist jedoch aus eigener Kraft zu keinerlei Kontaktaufnahme mit seiner Umwelt fähig, obwohl bereits vegetative und emotionale Reaktionen erfolgen.
Im entwickelten Stadium besteht zwar eine stabile Atmung, die Beweglichkeit ist aber infolge einer allgemeinen Muskeltonuserhöhung (Spastik) weitgehend eingeschränkt. Nicht selten wird die Erkrankung daher auch als "vegetativer Zustand" bezeichnet. Mit dieser Bezeichnung wird nahegelegt, die Lebensform dieser Kranken als "primitiv, pflanzliches Leben" oder als "sinnlose Hülle" oder "lebensunwert" zu bewerten.
Koma ist eine ungewöhnlich tiefe Betäubung oder ein tiefer Schlaf. Medizinisch wird Koma mit Bewußtlosigkeit gleichgesetzt. Das Wachkoma ist eine Folge der Intensivmedizin und der gut funktionierenden Rettungskette. Wiederbelebt (reanimiert), beatmet und versorgt kann ein Mensch tage- oder wochenlang, manchmal über Monate oder Jahre im Wachkoma verharren. Beim Wachkoma ist durch ein Schädelhirntrauma oder eine anderweitige Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff (etwa bei einem Schlaganfall oder nach akuter Atemnot) die Bündelungsstation und Verbindungsstelle für Nervensignale im Mittelhirn unterbrochen.
Das Stammhirn reguliert die lebenswichtigen Grundfunktionen des Körpers wie Atmung, Kreislauf, angeborene Empfindungen und Reflexe. Das Großhirn verarbeitet alle Empfindungen und Sinnes eindrücke zu einer Gesamtwahrnehmung. Durch die Unterbrechung der Verbindung zwischen Stammhirn und Großhirn ist die Verarbeitung der Sinneseindrücke zu einem Gesamtbild gestört.
Die traditionelle Schulmedizin sieht das Wachkoma nur als Krankheitsbild oder pathologischen Zustand und beschreibt es als "Ausfall von Bewußtseinsfunktionen infolge von Entkoppelung von Hirnstamm und Großhirn". Der schulmedizinische Diagnostiker versteht sich als unbeteiligter Beobachter, der rational ein objektives Urteil fällt.
Verläßt der Arzt jedoch diese Fiktion des objektiven Standpunktes und akzeptiert die Einsicht, daß zwischen Beobachter und Beobachtetem jederzeit eine enge Beziehung besteht, dann wird der Prozeß des Diagnostizierens eine Form von zwischenmenschlicher Begegnung und therapeutischer Lebensgestaltung. Auf diese Weise gelangt der Arzt zu einer völlig anderen Beurteilung des Wachkomas. Er kann darin eine sinnvolle Antwort auf eine schwere Verletzung erkennen und es als extreme Lebensform begreifen.
Wachkoma ist kein passiver Zustand, sondern eine aktive, bis auf tiefste Bewußtseinsebenen zurückgezogene Lebenstätigkeit.
Wachkoma hat Schutzfunktion und ermöglicht es den Betroffenen, ganz bei sich selbst zu sein. Man kann es auch als Rückzug ins ICH bezeichnen. Nur die lebenswichtigen Vitalfunktionen (Atmung, Kreislauf) sind aktiv, während alle Dinge die Kraft und Energie benötigen auf Eis gelegt sind, um sich von einem schlimmen Ereignis zu erholen.
Wachkoma in diesem Sinne ist eine extreme, höchst empfindsame, verletzliche und damit auch schutzbedürftige Lebensform am Rande des Todes.
Wachkoma ist also nicht einfach nur Ausdruck einer Krankheit, sondern zugleich möglicher Ausgangspunkt einer neuen Lebensentwicklung, also eine sinnvolle Lebensform.
Im Koma drücken sich destruktive und produktive Momente und Dimensionen eines Menschen mit einer stets einzigartigen Lebensgeschichte aus.